Etablierte Massenmedien unter Veränderungsdruck?

Prof. Dr. Bernd Blöbaum forscht am Institut für Kommunikationswissenschaften unter anderem zu den Themen Journalismus und Vertrauen. In unserem Interview haben wir mit ihm über die derzeitigen Herausforderungen etablierte Massenmedien gesprochen und ihn gefragt, ob und welche neuen Wege diese einschlagen müssen, um weiterhin als relevante Informationsquelle wahrgenommen zu werden, gesprochen.

SSP: Digitalisierung, Fake News, Lügenpresse- und Establishment-Vorwürfe, Filterblasen und Co.. Die Liste an Herausforderungen, vor denen die etablierten Medien stehen, ist lang. Was ist derzeit ihre größte Herausforderung?

BB: Aktuelle Massenmedien stehen vor der Aufgabe, ihre professionelle Kompetenz aufrecht zu erhalten und zu stärken, um auch weiterhin von ihrem jeweiligen Publikum als vertrauenswürdig wahrgenommen zu werden. Vehemente öffentliche Angriffe auf Medien, oft aus dem ganz rechten politischen Raum, zielen darauf ab, die Integrität und Glaubwürdigkeit von Zeitungen und Rundfunkprogrammen infrage zu stellen. Hier sind die Medien gefordert, noch stärker auf ihre Leser, Hörer und Zuschauer zuzugehen, und zu erklären, warum sie welche Inhalte für die Berichterstattung auswählen.

 

SSP: Wie hat das Internet die Medienlandschaft und die Anforderungen der Medienkonsumenten verändert?

BB: Informationen, die früher exklusiv von Medien verbreitet wurden, sind nun im Internet frei verfügbar. Massenmedien haben ihre Rolle als Gatekeeper verloren. Angesichts der großen Menge von Informationen und Beiträgen, die im Netz verfügbar sind, stellt sich für uns alle die Frage, welchen Angeboten vertraut werden kann und welche eher Partikularinteressen dienen oder gar gefälscht sind. Professionell arbeitende Medienredaktionen übernehmen die Aufgabe, öffentlich relevante Angebote verständlich darzustellen. Deshalb gelten etablierte Medienmarken nach wie vor als verlässliche Quellen, wenn es darum geht, sich über aktuelle Vorgänge zu informieren.

 

SSP: Kann neutrale Berichterstattung, mit dem Ziel, zu informieren und nicht hauptsächlich zu provozieren oder zu polarisieren, überhaupt noch die Filterblase durchbrechen?

BB: Professionell arbeitende Redaktionen zeichnen sich dadurch aus, dass die von ihnen gelieferten Beiträge verifizierte Informationen vermitteln. Darüber hinaus liegt eine große Stärke der traditionellen Medien, offline wie online, darin, Themen und Ereignisse zu kontextualisieren, mit Hintergrundinformationen anzureichern, die eine Einordnung und Bewertung erlauben. Dass Menschen ausschließlich in einer Filterblase leben, was Informationen und Ereignisse im lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Raum angeht, ist sehr selten. Insofern bleiben journalistische Angebote ein gutes Mittel, mit anderen Haltungen und Neuigkeiten konfrontiert zu werden, die nicht dem eigenen Weltbild entsprechen.

 

SSP: Die Wörter „Fake News“ und „Lügenpresse“ wurden im August 2017 in den Duden aufgenommen. Das Misstrauen in Journalisten scheint zu steigen und sogar der Präsident der USA wirft renommierten Zeitungen regelmäßig vor, Unwahrheiten zu verbreiten. Laut ihren Forschungsergebnissen ist das Vertrauen der deutschen Bevölkerung in die Medien trotz all dem nicht gesunken. Wie erklären Sie die Differenz zwischen ihren Forschungsergebnissen und der öffentlichen Wahrnehmung?

BB: In den USA gibt es eine ganz andere Medienlandschaft. Im Vergleich dazu zeigt sich in Deutschland, wie wichtig für eine liberale Demokratie ein unabhängiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk und eine funktionierenden Lokal- und Regionalpresse sind. Als die Medien in Deutschland, meist aus der politisch sehr weit rechts stehenden Ecke, mit dem Lügenpressevorwurf konfrontiert wurden, kamen sie nicht umhin, darüber zu berichten, was die öffentliche Wahrnehmung sicher beeinflusst hat. Unsere Forschung zeigt auch, dass Schlüsselereignisse wie die Kölner Silvesternacht oder die Flüchtlingsdebatte zu einer breiten Verunsicherung über die Ausgewogenheit der Berichterstattung geführt haben. Im Langzeitvergleich bleibt das Vertrauen in Medien allerdings nahezu unverändert. Dennoch sind Medien gut beraten, den gefühlten Vertrauensverlust ernst zu nehmen und auf die Kritik ihrer jeweiligen Zielgruppen einzugehen.

 

SSP: Wie müssen sich etablierte Medien aufstellen, um weiterhin als verlässliche Quelle zur Meinungsbildung herangezogen zu werden?  

BB: Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass Medien die Anliegen ihrer Nutzer deutlich wichtiger nehmen. Das Medienpublikum wird ausführlicher erforscht und Zeitungen, Zeitschriften, Online- und Rundfunkmedien öffnen sich mehr gegenüber ihren Rezipienten. Es gibt Leserbeiräte, Einladungen an Leser, Veranstaltungen für Mediennutzer etc. Medien erklären, wie sie arbeiten und sie nutzen das Publikum als Quelle für Themen. Diese Publikumsorientierung ist ein sehr wichtiges Instrument, mit dem sich Medien als vertrauenswürdige Quelle präsentieren.

 

Das Interview führte Anne-Sophie Ortlinghaus.

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