„Man weiß doch nie, was noch kommt!“

Für manche kommt es plötzlich, andere sind sich schon seit der Geburt sicher und wieder andere schwanken oder hadern gar; mit ihrer Sexualität. Einer Münsteraner Studentin ist es ebenso passiert. Nachdem sie sich in ein Mädchen verliebt hat, fing ihr Leben auch ein kleines bisschen neu an.

Neuanfänge, das klingt erstmal nach guten Vorsätzen, nach einem Umzug oder auch der Beginn des Studiums. Gerade jetzt, so frisch nach Neujahr wünschen wir uns oft, dass wir jetzt mal alles besser machen und die Uhr wieder auf Null steht. Andere Neuanfänge beginnen einfach so, ohne Vorsatz, ohne Idee, ohne konkreten Wunsch nach etwas Neuem. Wenn die Liebe ins Spiel kommt, zum Beispiel. So war es bei Anna. Sie ist Anfang 20, Studentin und schon seit mehreren Jahren in einer glücklichen Beziehung – mit einer Frau. Anna ist Bisexuell.

„Als ich jünger war, habe ich eigentlich nie über meine Sexualität nachgedacht. Meine Freundin hat schon vor langer Zeit gemerkt, dass sie lesbisch ist, da hatte ich auch keine Probleme mit. Wir waren vor unserer Beziehung schon Freunde. Und am Anfang, als es bei mir begann, sich zu verändern und ich mehr für sie empfand, dachte ich auch, es sei nur so eine körperliche Sache. Das war es aber offensichtlich nicht.“ Erzählt Anna

Anna und ihre Freundin verheimlichen ihre Beziehung nicht. Sie versteht, dass es manchen Menschen auch nach längerer Zeit schwer fällt, über eine veränderte Sexualität zu reden. Viele Menschen verheimlichen ihre Sexualität ihr Leben lang. In ihrem Freundeskreis war das kein Problem. Schwerer war es bei ihrer Familie.

„Bei meinen Eltern habe ich es ganz schnell gemacht. Ich bin rein in den Raum, hab es ihnen erzählt und bin dann ganz schnell wieder raus, in mein Zimmer. Mein Vater sagte nur, dass sie sich das schon gedacht hätten und damit war die Sache abgeschlossen. Für ihn. Mit meiner Mutter war es erstmal etwas schwieriger. Sie konnte es nicht so richtig verstehen.“ Weil  Anna schon nicht mehr in der Pubertät war und auch schon einen festen Freund gehabt hat, trifft sie bei ihrer Mutter zunächst auf Unverständnis. „Sie ist mir nachgelaufen und wir haben sehr diskutiert. Ich habe ihre Reaktion einfach nicht verstanden und sie mich nicht.“ Mittlerweile haben die Zwei sich ausgesprochen. Ihren Großeltern hat Anna es nicht gesagt. Warum, erklärt sie nicht. Dafür vielleicht aber die Vergangenheit, denn offen homo- oder bisexuell leben war lange Zeit nicht möglich.

Münster und die mutigen Studierenden

Auf so viel Akzeptanz in der Familie und dem Freundeskreis treffen nicht alle, wenn sie sich outen oder schon geoutet haben. In Münster gibt es für die LGBTQ (Lesbian, Gay, Bisexual Transgender und Queer)-Community zahlreiche Vereine und Initiativen, die Menschen unterstützen und zusammenführen. Einer der ersten, wenn nicht sogar der Erste, ist die „Homophile Studentengruppe Münster“ gewesen. Unter anderem organisierte sie schon 1972 die erste Homosexuellen-Demonstration Deutschlands in Münster, eine erste Art von „Christopher Street Day“. Und das zu einer Zeit, in der noch geglaubt wurde, Homosexualität sei mit einer Elektroschocktherapie heilbar und müsse auch geheilt werden, denn wäre eine Krankheit, wie es zum Beispiel in einem Artikel des Spiegels vom 30. Oktober 1972 heißt.

Kurz danach gründete sich auch die „Homosexuelle Fraueninitiative Münster“. Heute gibt es sogar einen kirchlichen Verein, die „queergemeinde Münster“, die alle Sexualitäten zu sich einlädt. Dabei geht es nicht immer primär um ihre Sexualität. Es geht um ein ungezwungenes, vorurteilsfreies Zusammensein. Auch mit der Familie und Freunden.

Mädchen, Junge, Intersexuell

Anna selber ist in keiner Initiative, wünscht sich aber manchmal, sie würde sich mehr einsetzen. „Jeder kennt zum Beispiel die Regenbogenflagge, aber es gibt auch eine ganz spezielle, für Bisexuelle.“

Öffentlich wird es für sie manchmal unangenehm, obwohl es das gar nicht sein muss. Stellt sie ihre Freundin als eben solche vor, verstehen viele das erstmal nicht, sie denken oft, Anna meint eine Art beste Freundin. „Wenn ich dann erkläre, dass wir in einer Beziehung sind, dann kommen manchmal schon klassische Vorurteile oder Ideen, wie zum Beispiel, ich würde ja gar nicht so aussehen wie eine typische Lesbe. Ein bisschen fühlt sich das auch immer an, als würde ich nicht ernst genommen.“

Ernst genommen werden – gleich Rechte wie heterosexuelle Menschen zu haben. Derzeit wird auch wieder in der Politik und der Öffentlichkeit viel über Gesetze geredet, die es Homosexuellen oder Transgender bis jetzt sehr schwer gemacht haben wie in Kind zu adoptieren oder zu heiraten. Jüngst stimmte auch Australien für die Ehe für Alle und im November beschloss das Bundesverfassungsgericht offiziell die Einführung für ein drittes Geschlecht im Geburtenregister. Das bedeutet für viele Menschen einen Neuanfang. Sie müssen sich nicht für die Bezeichnung männlich oder weiblich entscheiden, sondern können ihre Intersexualität auch als solche bezeichnen.

Für Anna kam der Neuanfang schleichend. „Der Moment, wenn man es öffentlich sagt: komme was wolle, ich stehe zu dir, das ist schon ein Schritt, aber ich hatte ja nie große Probleme. Hier in Münster ist es auch nicht so präsent.“ Manchmal überraschen sie die Reaktionen anderer aber doch: „Wenn wir uns küssen, dann kommt ab und zu schon ein doofer Spruch, so nach dem Motto: Hey, darf ich noch mitmachen. Besonders von Männern. Das ist unangenehm.“ Erklärt sie. Aber Anna ist glücklich. Und wünscht sich, dass noch ein bisschen mehr über andere Sexualitäten geredet wird. Eine Studie zum LGBT-Anteil der Bevölkerung aus dem Jahr 2016 zeigt, dass rund 7,4 Prozent der Menschen in Deutschland der Community angehören . „Wenn also in jeder Schulklasse nur ein bisschen mehr darüber geredet wird, und mehr aufgeklärt, dann kämen viele schnell zur Erkenntnis, dass es doch ganz in Ordnung ist, wenn man sich nicht über ein Geschlecht definiert oder nicht heterosexuell ist.“ Kaputt diskutieren möchte Anna das alles jedoch nicht. Ihrer Meinung nach sollte im Schlafzimmer jeder das machen, was er möchte. Sexualität ist eben nicht immer klar vordefiniert. Sie bereut es nicht, ihren Neuanfang gewagt zu haben. „Man weiß ja nie, was noch so kommt.“

Info: Auch an der Universität gibt’s so einige Gruppen und Initiativen der der LGBTQ-Community. Unter anderem findet ihr, wenn es euch interessiert, Infos und Links auf der Website des Astas.  

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